Gisela Nauck
Orte zum Verweilen - Über Materialien, Inhalte und Sinn von Klangkunst
ein Diskurs mit dem Klangkünstler Andreas Oldörp




"Mich interessiert an künstlerischer Arbeit, daß sie sich in einen offenen Raum hinein entwickelt.
Als Bild beschrieben: Der Bereich, den wir mit unserem Verstand erfassen, mag die Insel sein, auf der wir uns bewegen, es gibt aber den Bereich rund herum, das Wasser. Meine Arbeit verstehe ich so, daß ich sage: Ich gehe, so weit ich gehen kann, mache mir meinetwegen auch noch die Füße naß und angle dann in diesem Wasser nach etwas, was ich an Land ziehe, versuche in meiner Arbeit, mir diese Bereiche zu öffnen.
Begrifflichkeiten spielen nur ganz am Rande eine Rolle, Symboliken spielen nur am Rande eine Rolle. Im Zentrum ist eine Energie, eine Aufgeladenheit, ein Ort, der verdichtet ist." (1)



Grundlagen

Andreas Oldörp, Jahrgang 1959, geboren in Travemünde, kommt, wie viele seiner Kollegen, aus der Bildenden Kunst. Er hat an der Hochschule für Bildende Künste sowie an der Universität Hamburg, hier im Fach Philosophie, studiert und wollte zunächst eigentlich Kunsterzieher werden. Schon bald fand er sich jedoch in der Sektion der Freien Künste wieder. Er malte, zeichnete, machte Versuche mit Skulpturen und Objekten, doch die Ergebnisse blieben für ihn seltsam stumm und leblos.
Dann lernte er den dänischen Performer, Bildenden Künstler und Komponisten Henning Christiansen kennen, der 1985 als Professor für Multi-media an die Hochschule in Hamburg berufen worden war - und die Dinge änderten sich. Christiansen verstand es, Offenheit für Unvertrautes herzustellen und Oldörp für die Performancekunst zu interessieren, forderte den Studenten auch auf, bei seinen eigenen Performances mitzuwirken, mit dieser Kunstform zu experimentieren. Wie etwa 1988 bei Tiefland im dänischen Aarhus, wo das Event zu einer sechs Stunden dauernden Konzertinstallation gedehnt wurde, zu der jeder Besucher nach Gutdünken kommen und gehen konnte. Solche und ähnliche Erfahrungen führten dazu, daß die Performance mit ihrer Synthese von Objekt, Bewegung, Geräusch und Klang für Oldörp zum Anstoß wurde, selbst mit Klang zu arbeiten.
Ausschlaggebend für die Entwicklung eines eigenen, multimedialen Ansatzes war seine erste Performance für eine Veranstaltung der Klasse von Christiansen im November 1986, die den Titel Stille (gelb, blau, rot) trug. Die Anregung dafür lieferte eine deutsche Bundespostbriefmarke, auf der das Lichtwellenspektrum mit der Bezeichnung "Hertz" abgebildet war und die Oldörp die Kompatibilität von Lichtwellenlängen und Klangwellenklängen nahelegte. Daraus entstand ein Konzept, bei dessen Ausführung er die raumverändernden Eigenschaften von Klang erstmals am eigenen Leib erfuhr: "Ich hatte für diese Performance die Grundfarben genommen, deren Pigmente als gleichschenkliges Dreieck in einen Raum gelegt und diese Anordnung gefilmt. Für die Performance bildete die Wiedergabe durch einen Videomonitor das einzige - dreifarbige - Licht im Raum. Diese Frequenzen habe ich durch Sinustöne hörbar gemacht, die etwa den Lichtwellenlängen von rot, blau und gelb entsprechen, und analog dazu, im niederfrequenten Bereich, über Baßlautsprecher eingespielt. Die Performance funktionierte dann so, daß ich durch diese drei Punkte im Kreis gegangen bin, bis ich durch mein Gehen die Pigmente zu einer Kreisform am Boden verbunden hatte. Und das absolut Interessante war für mich dabei, daß es eine ganz eklatante Unterschiedlichkeit im Klang gab. Die einzelnen Klänge waren konstant da - das war also bereits ein Ausgangspunkt -, und bauten trotzdem durch die sehr langen Wellen von zweiundvierzig, sechsundfünzig und dreiundsechzig Hertz eine Klanglandschaft auf, die deutliche Zonen unter-
schiedlicher Klangqualität herstellten. Durch diese bin ich dann gegangen und war völlig fasziniert davon, wie stark ich einen Raum durch das Setzen von Klang verändern oder verdichten kann."

In der gleichfalls zusammen mit Christiansen aufgeführten Performance I went to my voice - Die Freiheit ist um die Ecke 1987 in der Rietveld Akademie Amsterdam, auch noch während des Studiums, setzte Oldörp erstmals eine "Singende Flamme" als Klangskulptur ein. Für die Auseinandersetzung mit Klang als bildnerischem Material - einem Hauptanliegen des Bildenden Künstlers Oldörp - hatte er ein Instrument gefunden. Angeregt worden war er dazu durch die Abbildung der Flammenorgel Pyrophon im Ausstellungskatalog Der Hang zum Gesamtkunstwerk, die der französische Physiker, Chemiker und Akustiker Frédéric Kastner 1870 entwickelt hatte.


Räume von Dauer

Bereits die erste große Klangkunstarbeit von Andreas Oldörp, Singende Flammen in einem dreiundfünzig Meter langen Röhrenbunkersystem unter dem Hans-Albers-Platz in Hamburg im November 1988, bestand aus den wesentlichen Elementen, die seine Handschrift als Klangkünstler ausmachen sollten: das Arbeiten mit einem audio-skulpturellen Instrumentarium und damit das Ineinssetzen von Optischem und Akustischem; das installative Gestalten mit Klang und Licht, ausgehend von einer einzigen Quelle; die oft bis zur Unauffälligkeit zurückgenommene, visuelle Strukturierung des Raumes durch die schlanken, aufstrebenden Rohrformen und das Arbeiten mit natürlichen, konstanten, dauerhaften Klängen. In den nachfolgenden Jahren baute er diesen Ansatz aus, entwickelte und variierte ihn. Für diese erste Installation prägte Oldörp den Begriff der Akustischen Architektur beziehungsweise der Akustischen Innenarchitektur und betonte: "Wesentlich ist, wenn ich von Architektur rede: Da ist etwas gebaut und das steht zuverlässig da. Darum benutze ich den Begriff für meine Arbeiten, weil diese Klänge, dieses Klanggeflecht dauerhaft präsent sind." Dauerhafte klangliche Präsenz aber ist notwendig, damit vorgefundene Räume durch ihre neue visuell-akustische Interpretation zu Orten werden, an denen sich Menschen, so lange sie mögen, aufhalten, in denen sie verweilen, gedankliche und sinnliche Freiräume finden können. Vom Raum zum Ort nannte er denn auch 1996 eine Installation in sechs Räumen der Stadtgalerie Backnang in der Nähe von Stuttgart. Der akustische Vergleich dieser sechs ähnlichen, doch wiederum auch ganz anderen Klang-Räume verweist auf eine bemerkenswerte Dialektik von Konstantem und Variativem in der künstlerischen Arbeit von Andreas Oldörp, die sein inzwischen mehr als vierzig Arbeiten umfassendes Schaffen geformt und ausdifferenziert hat. Pole dieser Arbeit an solchen Akustischen Architekturen sind die eher technisch zu beschreibende Art der Klangerzeugung und der gegebene Raum. Im Dialog mit den Räumen entwickelte er verschiedene Verfahren der Klangerzeugung, verschiedene "Spieltechniken", die ihm für den jeweiligen Charakter, die Gestimmtheit der akustischen Architekturen, angemessen erscheinen. Orgelpfeifen werden durch Kohlensäure, Luft oder Wasserdampf angeblasen, die Luftsäule in den gläsernen Röhren wiederum durch Metan, Butan oder Wasserstoff in Schwingungen versetzt. Anblasart, Material und Größe der Orgelpfeifen oder Glasrohre bestimmen den Charakter der jeweils entstehenden Klangtexturen, deren Raumgestalt durch die Anordnungen der "Klanginstrumente" im Raum modelliert wird. Beides entscheidet darüber, ob sie von Besuchern diffus, ortlos oder gerichtet erlebt werden und in welcher Weise jene Texturen den neu entstandenen Ort mehr oder weniger zufällig gliedern. Bei dieser Arbeit an Akustischen Architekturen hat Oldörp inzwischen zwei Installations-Typen entwickelt. Der eine nutzt die Dauer konstanter Klänge wie eben bei Singende Flammen in Hamburg oder bei High Fidelity 2001 auf zwei Inseln im See des Donaueschinger Schloßparks. Der andere Typ löst dagegen die Dauer auf, zersplittert durch entsprechende Anblastechniken mittels Wasserdampf und Kondensierungserscheinungen die konstante Zeit zu flötenartigen Partikeln im Raum. Beiden Typen aber ist eins gemeinsam: Sie erzeugen Klangräume von Dauer, in die die Besucher eintauchen, die sie hörend erkunden können. Die erste Arbeit mit solcherart punktuellen Klängen war die Klangskulptur Anonymus I für die Ausstellung Over the Ocean im Oktober 2000 in Röda Steen, Göteborg. Mit ihr wurde das "Instrument" zur Herstellung solcher zersplitterten Klänge erstmals erprobt: ein mit Wasser gefüllter Glaskolben auf einem Stativ, erhitzt von einer Gasflamme, wodurch Wasserdampf entsteht, der zwei Orgelpfeifen anbläst. Bei der Installation Gossip, 2001 für das Klangkunstforum am Potsdamer Platz in Berlin stand dann schon sehr viel deutlicher die Raumqualität im Zentrum. Fünf solcher beheizter Glaskolben verwandelten hier den Raum in eine auffällige Skulpturenlandschaft. Auch bei diesem zweiten Typ konnte Oldörp mit den durch Wasserdampf betriebenen Orgelpfeifen an Verfahren anknüpfen, die er bereits während seiner Studentenzeit für die beiden Klangobjekte stereo-monoton und triptychon (1987) entwickelt hatte.

In jüngster Zeit zeichnet sich eine weitere Entwicklungsrichtung in jenem Verhältnis von Konstantem und Variativem ab. Mit Tre Archi_zwei Arbeiten mit Klang für Lichthof und Gewölbekeller des Badischen Kunstvereins in Karlsruhe 2002 und mit De Profundis für die Galerie und den Brauereikeller der voxxx-Galerie in Chemnitz 2003 begann Oldörp, beide Möglichkeiten klanglicher Zeitgestaltung in ein korrespondierendes Verhältnis zueinander zu setzen: die dauernde und die zersplitterte Zeit, den konstanten und den punktuellen, flüchtigen Klang, das Verharren und die Bewegung. Bemerkenswert ist dabei, daß sich die Motive der künstlerischen Arbeit damit noch stärker auf die Wahrnehmung der Rezipienten konzentrieren. Wichtig wird nun auch die Inszenierung des Erlebnisses einer Differenz zwischen den beiden Installationstypen.


Idee und Inhalt

"Ich würde in diesem Zusammenhang lieber von meiner künstlerischen Besessenheit als von Inhalt reden, diese Art von Orten zu bauen, wann immer ich es darf und am liebsten auf Dauer. Räume, die diese besondere Qualität des gestimmten Raums haben. Um zu erfahren, welche Stimmung sie erhalten, sich darin entwickelt. Es geht also um eine Qualität, die zu schaffen ist, es geht nicht um eine Aussage." Und es geht um den Sinn solchen klangkünstlerischen Handelns. Oldörp stellt sich seine Klanginstallationen als Orte der Einkehr, als Schutz- und Freiraum, ja, als ästhetische Bedürfnisanstalt vor. Er möchte mit Hilfe von Klang, Licht und skulpturaler Gestaltung in und mit diesen Orten Projektionsflächen schaffen, die in den Köpfen der Besucher unbestimmte und konkrete Assoziationen, Stimmungen, Gedanken, vielleicht auch Erzählungen entstehen lassen. Der Ort selbst soll dabei so wenig wie möglich erzählen. Vielmehr vermittelt er den Besuchern eine Erfahrung der eigenen Präsenz. Oldörp bezeichnete diese von ihm angestrebte Rezeptionssituation einmal als "Möglichkeit einer Zwiesprache mit sich selbst jenseits des Selbstbewußtseins". Hinter diesem begrifflichen Versuch wird dann aber doch auch eine metaphysische Idee deutlich, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit einem sich in den modernen Industrienationen stark ins Egoistische, Egozentrische gewendeten, individuellen Selbstverständnisses. Angesichts der von Selbstpräsentation und Konkurrenz geprägten, sozialen Lebensformen scheint solch einem künstlerischen Entwurf dann auch wieder eine jener Utopien oder wenigstens Hoffnungen eingeschrieben, wie sie eine nichtsprachliche Kunst wie die Musik seit Jahrhunderten immer wieder geprägt haben.

Auf Grund der für Oldörp typischen Ineinssetzung von Visuellem und Akustischem - Orgelpfeifen oder Singende Flammen dienen einzig der Klangerzeugung und als Anhaltspunkt für die lauschende Fortbewegung im Raum - sieht er die künstlerische Idee für eine Installation eher auf der profanen, handwerklichen Ebene angesiedelt oder auch auf derjenigen von Machbarkeit. Zu berücksichtigen sind vor allem Fragen wie: Welche Klänge lassen Struktur und Akustik eines konkreten Raumes überhaupt zu, sind sinnvoll in ihm? Welche Plazierung der Klangquellen sind ihm angemessen? Welche Länge und Dicke müssen Orgelpfeifen bzw. Singende Flammen haben? Aus welchem Material sollten sie sein? Welche Anblastechnik wird eingesetzt? Bei Arbeiten im Landschaftsraum gehören zur Ideenfindung dann auch überlegungen, die den Schutz und die Stabilität einer Arbeit betreffen, wie dick etwa ein Material sein muß, daß es von Wind und Wetter nicht beschädigt wird, was wiederum Konsequenzen für den Klang hat. Für diese Phase der Ideenentwicklung verwendet Oldörp gern das Bild des Gesprächspartners, zu dem der jeweilige Raum für ihn während der Ausarbeitungsphase wird und der ihm zu verstehen gibt, wie er als Klangkünstler darin agieren soll. Seine Klanginstallationen entstehen im Dialog mit dem jeweiligen Raum.

Noch unspektakulärer verhält es sich bei Oldörps Klangkunstarbeiten mit der Kategorie des Inhalts, weil dieser schlichtweg negiert wird. "In meiner Arbeit spielen Inhaltlichkeiten meistens keine Rolle, und das habe ich ja auch nicht ohne Absicht so entwickelt. Ich möchte mich eben nicht mit konkreten Thematiken beschäftigen, nicht mit diesen Symbolen und Sujets, sondern mit energetischen Qualitäten, mit Aufgeladenheiten, mit purer Wirkung und Wirksamkeit jenseits der Begrifflichkeit."


Arbeit am Alltag

Im Städtebau gibt es den treffenden Terminus "Kunst am Bau", der nichts anderes bezeichnet als die Nutzung künstlerischer Fertigkeiten für öffentliche Bauvorhaben, das heißt, in enger Zusammenarbeit mit der Bauplanung gehen Kunstwerke eine direkte Verbindung mit der jeweiligen Architektur und ihrem Umfeld ein. Analog dazu könnte man für die Kunst der Klanginstallation, die per se in Auseinandersetzung mit einem architektonischen oder auch landschaftlichen Umfeld entsteht, den Begriff "(Klang)Arbeit am Alltag" einführen. Denn ob innerhalb belebter Straßen oder in öffentlichen Gebäuden, ob in Wohnhäusern, Kirchen, Kinoräumen oder Parks - Klanginstallationen greifen in alltägliche Zusammenhänge ein, transformieren sie und verändern durch überformen oder Kontrapunktieren auch die Wahrnehmung des Alltags. Das gilt in besonderem Maße für einen Künstler wie Andreas Oldörp, der seine Akustischen Architekturen sehr bewußt als alternative kulturelle Einrichtungen zur Institution Museum versteht. "Ich bin daran interessiert, eine andere Form der künstlerischen Arbeit auszuprobieren, die zu Hilfe nimmt, daß sie dreidimensional ist, also die Installation, der Raum, der gestimmte Raum. Denn nichts beeinflußt uns stärker als der Raum, in dem wir uns befinden, oder anders gesagt: Immer ist es der ganze Raum, der uns beeinflußt. Und das kann durch klassische Ausstellungsstrukturen nur ganz selten oder nur ganz am Rande bedient oder hergestellt werden. Das sind aber Situationen, die meiner Wunschidee eines dezentralen Museums eher entsprechen würden: Daß es Orte an verschiedenen Stellen der Stadt gibt, die ästhetisch aufgeladen sind, zur Verfügung stehen und viel zwangloser wahrgenommen werden können, als das heute in Museen oder ähnlichen Einrichtungen passiert und üblich ist. Allein wenn ich an den Neubau an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin denke: Unabhängig davon, daß wir uns hier in einem Kirchenraum befinden, ist es einfach ein Genuß, aus dem Getriebe des Kurfürstendamms dort hineinzugehen, in diese plötzliche Stille und in diesem Blau zu sein, für einen Moment mal für sich zu sein."

Zwar nutzt auch Oldörp, je nach Auftragslage, Museumsräume für seine Arbeit, doch erscheint ihm die Institution Museum wie der damit verbundene Kunstbetrieb für die Gegenwart völlig unzureichend. "Ich glaube, daß das, was an ästhetischer Erfahrung einen Mehrwert herstellt, in den heute in verschiedenster Weise kommerziell orientierten Kunstkontexten einfach nicht passiert. Man kann natürlich hingehen und Kunst kaufen. Man kann Namen kaufen, man kann Bilder kaufen und man kann sie nach Hause tragen und man kann sie an die Wand hängen. Aber das Wesentliche ist, daß man sich nur im Zweifelsfalle die Zeit nimmt, sich darauf auch wirklich einzulassen. Das passiert in diesen Strukturen kaum noch." Diese Strukturen werden zum einen vom Leben in einer Umwelt geprägt, die sich enorm beschleunigt hat durch die Notwendigkeit, immer mehr Informationen aufnehmen, immer schneller reagieren und funktionieren zu müssen. Es gehört dazu aber auch eine Realität der eventhaften Kunstverbreitung, die immer umfangreichere Musikfestivals und Kunstausstellungen produziert, bei denen man von einem Konzert zum nächsten oder von einem Bild zum anderen hetzt, weil die Masse des Ausgestellten keine Zeit zum Verweilen läßt, was Andreas Oldörp zu den berechtigten Fragen veranlaßte: "Kann Kunst überhaupt noch in so einem Kontext, im klassischen Sinne, funktionieren? Wo ist da noch Raum, um sich zu öffnen, sich auch aufs Spiel zu setzen, um sich einer Erfahrung auszusetzen, die man zunächst noch nicht kontrolliert, von der man noch nicht weiß, wo sie hinführt und was daraus werden soll? Alles das findet in Museen im Prinzip wenig Raum." Eine Alternative dazu wären für ihn Klangorte, die dauerhaft erhalten bleiben. "Am Dauerhaften ist mir natürlich schon gelegen, weil diese Arbeiten bereits in ihrem Klang auf Dauer angelegt sind und eigentlich Instrumente sein wollen, die zur Verfügung stehen. Meistens sind sie aber heutzutage nach wie vor dieser nivellierenden Struktur des Ausstellungsbetriebes unterworfen, werden also schließlich wieder zerstört."

Eine zweite Konsequenz aus jener Alternative zum Museum bestände darin, daß solcherart dauerhaften Klanginstallationen als "nutzlose" Orte der Besinnung und der zweckfreien Selbsterfahrung per se ein nicht konsumorientiertes Verhalten produzieren könnten. "Arbeit am Alltag ist einerseits schon ein problematischer Begriff, weil man unter Alltag im Allgemeinen das tägliche Funktionieren eines jeden in dieser Gesellschaft versteht, der ja bedauerlicherweise die Kultur, die ästhetische Bezugnahme in den Freizeitbereich verdrängt. Andererseits stimmt das mit der Arbeit am Alltag doch auch wieder, weil ich mir erst einmal wünschte, daß ein Alltag anders aussieht, daß er viel komplexer ist, weil ich glaube, daß jeder Mensch da, wo er als ganzer gefordert und angesprochen wird, am lebendigsten ist und auch glücklicher mit sich selbst."
Aus dieser Situation heraus sieht Andreas Oldörp gerade in der Klangkunst eine Chance. Eine Chance, Orte zu schaffen, die als selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens funktionieren und zudem jene genannten Leerstellen von Kunstrezeption ausfüllen, die der kommerziell überformte, traditionelle Kunstbetrieb weitestgehend verdrängt hat. "Ich denke zum Beispiel - und diese Analogie bitte ich richtig zu verstehen, da sie nicht so platt ist, wie es scheinen könnte -: Es gibt im Süddeutschen, in einem stärker noch vom Religiösen geprägten Alltag, ja durchaus die Wegkapellen, die Wegkreuze, kleine Situationen des Einhaltens, der Bezugnahme, zu Gott in dem Fall, die, wenn man denn den christlichen Glauben annehmen mag, komplexere Vernetztheit in Welt lebendig sein lassen. Dieses Mal-auf-das-Ganze-sich-Beziehen, um nicht in seinem kleinlichen Alltag heißzulaufen, ist als Struktur, glaube ich, schon heilsam. Und dafür bräuchte es Entsprechungen, deren Entwicklung man durchaus Künstlern anvertrauen kann."

(1) Der Text entstand auf der Grundlage der Radiosendung Von akustischen Architekturen. Erkundungen mit dem Klangkünstler Andreas Oldörp über Motive seiner künstlerischen Arbeit am Alltag, die in der WerkStatt von DeutschlandRadio Berlin am 29. Juni 2003 ausgestrahlt worden ist.





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